Heute besuche ich mich selbst

Holunder

Die paradoxe Aussage in Karl Valentins Zitat: „Heute mach ich mir eine Freude und besuche mich selbst.“ birgt für viel pflegende Angehörige eine bittere Wahrheit, kaum noch Kontakte.

Wer ältere, kranke oder behinderte Angehörige 24 Stunden am Tag betreut, hat meist kein eigenes Privatleben mehr. Bekannte und Freunde machen sich mit der Zeit immer rarer, bis die Pflegenden ganz allein dastehen. Sie sind dann nicht nur gefangen in ihrer aufopfernden Betreuung sondern auch gesellschaftlich abgestraft.

„Du musst deine gelähmte Frau doch nicht selbst den ganzen Tag und die ganze Nacht betreuen. Nimm dir doch einen Pflegedienst.“

„Was wollt ihr denn machen, wenn ihr nicht mehr lebt. Dann muss euer Sohn oder eure Tochter doch auch in ein Heim. Mit der Behinderung (geistig oder körperlich) kann er doch nicht allein leben. Warum dann nicht gleich ab ins Heim, solange ihr das Leben noch genießen könnt.“

„Warum holt ihr euch nicht eine Polin, die eure Mutter rund um die Uhr betreut oder gebt sie zumindest in die Tagespflege. Ihr lebt doch auch nur einmal.“

Viele gut gemeinte Ratschläge der Umwelt kommen bei denen, die sich dazu entschlossen haben, ihre Angehörigen zu pflegen, nicht wirklich gut an. Sie fühlen sich unverstanden und ausgegrenzt. Wer seinem Ehepartner versprochen hat, in guten und in schlechten Tagen zu einander zu stehen, wer ein behindertes Kind geboren hat oder wer seinen Eltern dankbar die schöne Kindheit vergelten möchte, der steht oft sehr einsam da. Nach einer gewissen Zeit des mehr oder weniger geduldigen Zuschauens, wenden sich viele ab. Wer nie Zeit hat, wird sehr schnell vergessen.

Und Klapp… hat die Einsamkeitsfalle zugeschlagen!

Liebe Leserin, lieber Leser,
bitte lassen Sie nicht zu, dass diese Klappe komplett zuschlägt!

Bemühen Sie sich den Kontakt zu den Pflegenden aufrecht zu erhalten, auch wenn es sich mühsam gestaltet. Fragen Sie, zu welcher Zeit ein Anruf in den meist vollgestopften Tagesplan passen würde. Seien Sie nicht beleidigt, wenn es dann doch nicht passt. Gewöhnen Sie sich an, immer zu Beginn eines Gespräches zu fragen, ob ein wenig Zeit übrig ist.

Wenn Sie eine Einladung aussprechen möchten, dann teilen Sie diese sehr früh mit, damit genug Zeit bleibt, um eine Vertretung zu organisieren. Warten Sie nicht auf eine Gegeneinladung, dazu reicht oft die Kraft nicht mehr aus.

Wenn Sie sich ehrlich bemühen, werden Sie sicher Freunde fürs Leben gewinnen.

Alleinsein und Einsamkeit

Alleinsein und Einsamkeit, zwei Situationen, die bei den meisten Menschen negative Gefühle auslösen.

Einsamkeit wird von einigen Psychologen als Vorstufe der Depression gesehen. Gleich wird ein Bibeltext erinnert: 1.Mose 2 Vers 18 „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei.“

In der Resilienzforschung (Resilienz = die Fähigkeit von Menschen, Krisen im Lebenszyklus unter Rückgriff auf persönliche und sozial vermittelte Ressourcen zu meistern und als Anlass für Entwicklung zu nutzen) werden u.a. tragende Partnerschaft, Freundes-, Bekannten- und Kollegenkreis als wichtige Grundlagen gesehen.

Alleinsein und Einsamkeit birgt aber nicht für jeden ein verzweifeltes Gefühl in sich. Vielmehr wird Alleinsein und Einsamkeit als Rückzug des Menschen aus dem hektischen Alltag zum Zwecke geistiger Aktivität und Selbstbesinnung positiv gewertet.

Das eine schließt meines Erachtens nicht das andere aus. Ich bin auch gern in Gesellschaft anderer Menschen und tausche mich mit ihnen aus. Genauso genieße ich den Rückzug zu mir selbst.

Meditation ist Bestandteil meines täglichen Lebens und ohne diese Besinnung auf mich selbst, käme ich mir fremdbestimmt und ferngesteuert vor.

Alleinsein und Einsamkeit wird in unserer heutigen Gesellschaftsstruktur nicht gern gesehen. Betrachten Sie nur wie Kinder vom ersten Tage ihres Erdendaseins „bespaßt“ werden. Ohne Babyturnen und Krabbelgruppe kommt heute kein Kleinkind mehr aus. Im Kindergartenalter kommt dann das befohlene, oder netter gesagt, das angeleitete Spielen, das Lernen von Fremdsprachen etc. dazu. Weiter geht es  mit Kindersendungen im TV. Für die Erwachsenen muss der Sport in allen Variationen herhalten. Oder der Hund, der gemeinsam mit vielen anderen in der Hundeschule erzogen wird. Da ist das Nachmittagsprogramm auf die Hausfrauen ausgerichtet, der Abend auf die Männer mit Sport, Politik und Ratgeber-sendungen. Die gesamte Unterhaltungsindustrie  mit Touristik und Sport hat nur ein Ziel… uns vom Denken abzuhalten.
Halt wie im alten Rom: Brot und Spiele.

Bitte nicht falsch verstehen, Ablenkung und Entspannung muss von Zeit zu Zeit sein, wenn man auch Freiräume für sich selbst schaffen kann. Wenn das Kind von Anfang an lernt mit sich allein auszukommen, sich selbst zu beschäftigen, hat es schon eine gute Basis für das Erwachsen-werden, kann Alleinsein gut aushalten und braucht nicht die Bestätigung und Anerkennung von jedem (auch denen, die ihm nicht gut tun), weil es bis hierhin schon ein eigenes Selbstbewusstsein erworben hat.

Alleinsein und der Rückzug in die Einsamkeit haben sehr viel mit der Suche nach dem Sinn des Lebens zu tun. So möchte ich mit einem Gedanken von Leo Tolstoi schließen:

„Auf der höchsten Bewusstseinsstufe ist der Mensch allein. Eine solche Einsamkeit kann sonderbar, ungewöhnlich, ja auch schwierig erscheinen. Törichte Menschen versuchen, sie durch die verschiedensten Ablenkungen zu vermeiden, um von diesem erhabenen zu einem niedriger gelegenen Ort zu entkommen. Weise dagegen verharren mit Hilfe des Gebetes auf diesem Gipfelpunkt.“