Der Winter – Märchenhaft

Winterwald
von Gabriel Santiago

Dem Winter wird viel Übles nachgesagt, nicht zu Unrecht. Anfangs beginnt er die Leute mit dichten Nebeln zu necken. Er verhängt Ihnen die luftige Ferne, Wege und Stege, Gruben und Rinnen.

Dann wieder macht er glatte Wege, um alles zu Fall zu bringen. Oder er ballt die Regentropfen zu Sternchen, Kügelchen und Pelzchen und lässt sie herunter rieseln.

Nebel, Eis und Schnee breitet er über Stadt und Land. In der Stadt sieht er große Fabrikschlote rauchen. „Ah, prächtig“ sagt er, „wie hübsch, wenn ich diese braunen Wolken unter meine Nebelmassen stecke!“, dass den Leuten die Augen brennen und sie meinen zu ersticken.

Oder er sieht das schöne Pflaster, ob Würfel oder Platten, Granit oder Klinker, das ist ihm ganz gleich. „Herrlich! Wie nett sich das übereisen lässt!“ Er tut´s und die Leute rennen aus den Häusern und streuen Asche und Sand auf die Wege.

Aber ganz unausstehlich will er sich doch nicht machen.

Oft nach einem tüchtigen Schneegestöber lässt er den Himmel hell und rein, die Luft klar und kalt und hält den Menschen die Schlittenbahn bereit. Da jagen diese über Land. Weit – weit liegt alles blendend weiß, ruhig, still feierlich.

Der tiefdunkle Tannenwald hält auf den Ästen weiße Streifen und an den Bärten schimmernde Zapfen. Die Häuschen haben Hauben auf, der kleinste Pfahl im Zaun trägt eine solche. Weiher und Teiche sind mattsilberne Spiegel.

An den Menschen schmiegt sich die Kälte, drängt das warme Leben mehr nach innen und schränkt es ein, als wollte sie nur die Wärme des Herzens gelten lassen, die man denn auch mit doppeltem Behagen verspürt.

Und dann sagen alle: „Es ist doch schön!“ Der Winter hat doch etwas Märchenhaftes.

Außen liegt die Welt so still, innen schlägt das Herz so froh, so erwartungsvoll.

nach Ludwig Anzengruber aus „Vereinsamt“