Vom argen Wind und vom armen Nussbaum

Wind

Ein Gedicht von Friedrich Güll

Meine lieben Kinder,
draußen ist der Winter;
draußen weht ein arger Wind,
von dem lasst euch erzählen geschwind!

Der mochte den Nussbaum nicht leiden
und blies ihn von allen Seiten,
so dass es ihn gefroren
und er alle Blätter verloren.

Drauf hat er ihn so angebrummt,
als wie der Märtel, in Pelz vermummt.
Der Baum ist so erschrocken darüber,
dass er bekommen ein arges Fieber.

Das hat ihn jämmerlich gerüttelt
und ihn an Armen und Beinen geschüttelt.
Und hätt‘ er nicht so fest gewurzelt,
er wäre selber um gepurzelt.

Da fiel ein Nüsslein, dort eine Nuss,
bis drunten lag ein Überfluss
und er da stund so kahl und nackend,
aIs wie im Wasser ein Fröschlein quakend.

Drauf hat der Wind zum Baum gesprochen:
Jetzt darfst du ruhen zwanzig Wochen,
derweil auch unter der weißen Decken
deine müden Glieder ausstrecken
und mit allen andern Bäumen
von Ostern und von Pfingsten träumen.

Drauf ist der zornige Wind verstummt,
und hat nicht mehr so wild gebrummt.
Der Baum ist unterdes eingeschlafen
und hat geträumt von den Wolkenschafen,
von den schönen Blumen und Blättern und Blüten
und war in seinem Sinn zufrieden.

Derweil ist das Christkindlein kommen
und hat die Nüsse mitgenommen
und hängt sie, geziert mit goldigem Schaum,
den frommen Kindern an den Weihnachtsbaum.
Und dem Baum bringt’s für die Sommerszeit
ein weißes und ein grünes Kleid.
Und mit Duft verstopft es die Nasen
dem Wind, dass er nimmer kann blasen.

Ich wünsche meinen Lesern einen schönen dritten Advent!