Die Macht der Demütigung

Klar, früher wurde man an den Pranger gestellt, ausgepeitscht oder gebrandmarkt, wenn man ein Verbrechen oder eine unehrenhafte Tat begangen hatte. Schüler, die ihre Schulaufgaben nicht gemacht hatten oder mit dem Nachbarn getuschelt hatten, wurden in die Ecke gestellt. Prügelstrafe war auch noch Gang und Gebe.

Heute ist das alles verboten und dennoch ist Demütigung immer noch ein Mittel der Macht. Es gibt heute z.B. durch die sozialen Medien noch viel wirkungsvollere Methoden. Diese werden dann auch öffentlich genutzt, um auszugrenzen, sich abzusetzen, Autorität auszuüben.

Im Jahr 2015 soll ein amerikanisches Mädchen sich selbst getötet haben, weil ihr Vater sie „öffentlich“ bestrafte, in dem er ihr ihre langen Haare abschnitt, dies mit seinem Smartphone filmte und in YouTube einstellte. Das Mädchen hatte ein Selfie in Sport-BH und Leggings zuvor an einen Jungen geschickt und das Bild kam irgendwie in Umlauf, was wiederum die Schulleitung bemerkte und den Vater verständigte. Das Mädchen ertrug die Scham nicht mehr und stürzte sich von einer Brücke.

Ich will den Wahrheitsgehalt nicht beurteilen, weil es meiner Recherche nach mehrere unterschiedliche Darstellung gab. Ohne Zweifel gibt es auf Facebook noch eine Seite „Justice for Izabel“.

Als ich die Geschichte von Izabel las, fiel mir gleich eine weitere Geschichte ein, die einem meiner Klienten widerfahren war. Er erzählte mir als 60-jähriger Erwachsener, dass er als 7 oder 8 Jähriger irgendetwas mal in der Schule vermasselt hatte. Ich kann mich beim besten Willen nicht mehr an die „Tat“ erinnern. Sie scheint in meinem Gedächtnis keine wirklichen Spuren hinterlassen zu haben. Aber das weitere Verhalten seines Vaters lässt mir noch heute das Blut in den Adern gefrieren.

Der Vater beschloss, seinem Sohn nicht zu Hause eine Abreibung zu verpassen (das war damals in den 1960ern noch erlaubt,) sondern schnappte sich seinen Sohn, ging mit ihm zum Schuldirektor. Vor dem Schuldirektor musste der Sohn seine übliche Lederhose herunterlassen. Der Vater zog seinen Gürtel genussvoll langsam aus der Hose und verprügelte den Sohn mit der Gürtelschnalle vor den Augen des Schulrektors.
(So, nun bitte wieder ein-und ausatmen.)

Ich hatte schon beim Zuhören den Verdacht, dass irgendetwas in ihm während dieser Demütigung, (Bestrafung wäre es zu Hause gewesen,) zerbrochen war, was ihn sein ganzes weiteres Leben beeinträchtigt hat. Er hatte kein Vertrauen in andere Menschen mehr, fühlte sich immer ungeliebt, obwohl er immer nach Liebe suchte. Schließlich und endlich fiel er in tiefe Depression, hatte Verfolgungswahn und landete zweimal in der Psychiatrie.

Woher kommt dieses Bedürfnis, andere oder die eigenen Kinder vorzuführen und öffentlich bloßzustellen? Was sollen solche Demütigungen bezwecken, aber auch welche Wirkungen entfalten sie? Warum sind sie selbst in Gesellschaften verbreitet, die Würde und Respekt in ihrer Verfassung verankert haben? Lebt hier das „finstere Mittelalter“ wieder auf, das Schlechte im Menschen, die tiefen, teuflischen Abgründe?

In öffentlichen Demütigungen wird stets Macht demonstriert. Indem andere Menschen vor Augenzeugen in die Knie gezwungen und bestraft werden, bekräftigen die Täter ihren Anspruch auf eine herausgehobene, machtvolle Position. Sie versuchen sich auf Kosten des vermeintlich Schwächeren groß zu machen.

Scham ist ein Gefühl von ungeheurer Wucht und mächtiger Wirkung. Sie kann tödlich sein und prägt sich unauslöschlich ein. Dabei ist die Anwesenheit und Zeugenschaft Dritter von größter Bedeutung.

Was macht die Demütigung zu einem so abscheulichen Instrument?

Es ist die Macht und Gewalt des öffentlichen Blicks. Werden andere Menschen Zeugen individueller Fehlleistungen oder Normverstöße, wird das Schamgefühl immer brennender. Je mehr Wert der Betroffene auf Wertschätzung und Anerkennung legt, desto größer werden die Scham und der emotionale Schaden.

Tatsache ist, dass täglich gezielte, absichtsvolle Demütigungen stattfinden. Nicht nur in Familie, Schule, Beruf oder beim Militär, wo sie meist von oben nach unten erfolgen. Sondern auch unter Gleichen, unter Schülern oder Arbeitskollegen, finden sie statt, nur dort heißen sie nicht Demütigung sondern Mobbing. Selbst in der nationalen und internationalen Politik kommen sie immer häufiger vor.

Wer sich falsch verhalten oder die Normen der Gruppe verletzt hat, kann darüber Scham und Reue empfinden und mit oder ohne Unterstützung versuchen es zu ändern.

Wer jedoch gedemütigt wird, weil er oder sie anders ist, weil er oder sie eine andere soziale oder ethnische Herkunft oder Hautfarbe haben, einer anderen Religion angehören, eine andere sexuellen Orientierung oder eine andere körperlichen Gestalt oder Behinderung haben und deshalb Ausgrenzung erfährt, kann keine Reue oder Scham darüber empfinden. Denn all diese Merkmale sind ohne sein Zutun entstanden und können nicht geändert werden.

Menschen reagieren auf unterschiedliche Weisen auf Demütigung. Der eine reagiert mit Depressionen, andere entwickeln offene Aggressionen, wieder andere verbergen ihren Zorn und planen langfristige Rache.

Die stärksten Gefühle der Demütigung in Opfern entstehen, wenn die Opfer ihre Demütiger bewundern, wie es z.B. beim Vater sein kann. In Fällen, in denen solche Opfer Zugang zu Mitteln bekommen, die ihnen Rache für die erlittene Demütigung ermöglicht, kann es passieren, dass diese Rache mit besonderer Brutalität ausgeführt wird und sogar Völkermord einschließt.

Da möchte ich noch einmal daran erinnern, dass in Kapitel 1 unseres Grundgesetzes festgehalten wird:
Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Und darauf sollten wir alle achten.

Demütigung macht (dauerhaft) krank und verursacht dadurch hohe gesellschaftliche Kosten.

In einigen Fällen kann Demütigung sogar tödlich enden.

Demütigung ist gewalttätig und kann Gegengewalt erzeugen.

Demütigung kann zu Hass, Kriegen, Unterdrückung und Unversöhnlichkeit führen.

Und das Selbstwertgefühl des Peinigers/Aggressors wird nicht um ein Jota stärker.

Wenn Sie gedemütigt wurden, wenn Sie es nicht schaffen die Gefühle der Demütigung selbst zu bewältigen oder an sich selbst erkennen, dass Ihre Gewaltbereitschaft gegen andere aber auch gegen sich selbst zunimmt, dann wenden Sie sich an einen psychologischen Berater Ihres Vertrauens!

Das Leid einer Demütigung zu kurieren bedarf besonnener therapeutischer Hilfe von geeigneten Helfern.

Ich möchte ein kleines Beispiel bringen, um klarzustellen, dass der Umgang mit Demütigungen auch in der Politik weitreichende Folgen haben kann.

Nelson Mandela war erfolgreich in seinem Bemühen, sich von dem Drang nach Rache zu distanzieren, er hätte auch ein Hitler werden können. Stattdessen verwandelte er die tiefe Demütigung, die er erlebt hatte, in eine Kampagne zur Veränderung demütigender sozialer Strukturen.

Aber auch den Tätern kann geholfen werden. Meist werden sie nicht die notwendige Erkenntnis haben, dass sie etwas ändern müssen. Doch wenn ein Täter zu dieser Erkenntnis kommt, dann kann er lernen die Perspektive des Opfers einzunehmen und versuchen, Gefühle der Demütigung im Anderen zu verstehen, sie im Anderen anerkennen, und sich dafür zu entschuldigen.

Wir sollten in Kindergärten und Schulen damit beginnen, die Selbstwahrnehmung und die Empathie mit Anderen zu erwecken. Dann kann der Kreislauf der Demütigung und der daraus resultierenden Gewalt in Familien und Gesellschaft unterbrochen werden. Dann können selbstbewusste, offene Bürger ohne Gewalt und Hass miteinander leben.

!!! Könnte eine Osterbotschaft sein !!!

Wut-entbrannt und Hass-erfüllt?

neuroplastizitaet

Was macht uns eigentlich wütend? Wie entsteht aus einer „normalen“ Emotion die überbordende Wut? Wie kann Wut in Hass überschlagen? Was passiert da mit uns? Haben Wut und Hass in der evolutionären Weiterentwicklung eine Daseins-Berechtigung?

Fragen, die sich mir immer wieder stellen, wenn ich Nachrichten über Wutbürger, Amokläufer, aufgebrachte Menschenmengen, radikalisierte Demonstranten, etc. lese, höre oder sehe.

Wissenschaftler gehen davon aus, dass es 4 Grund-Emotionen gibt, die jeder Mensch auf dieser Welt versteht: Furcht, Zorn, Trauer und Glück.

Wut und Hass gehören zu der emotionalen Kategorie „Zorn“, in der sich auch Empörung, Groll, Aufgebrachtheit, Entrüstung, Verärgerung, Erbitterung, Verletztheit, Verdrossenheit, Reizbarkeit, Feindseligkeit, aber auch im Extremfall Hass und Gewaltätigkeit befinden.

Finden wir nicht schon bei dieser Aufzählung Parallelen zu unseren Nachrichten?

Paul Ekman, ein amerikanischer Anthropholge und Psychologe, sagte zum Zorn: „Zorn ist die gefährlichste Emotion. Der ungebremste Zorn ist heute eines der großen Probleme, die die Gesellschaft zerstören. Unsere Emotionen haben sich in einer Zeit entwickelt, als wir noch nicht die Technik hatten, sie wirkungsvoll umzusetzen. Wenn man in vorgeschichtlichen Zeiten einen Wutanfall und einen Moment lang Lust hatte, jemanden umzubringen, war das nicht so einfach. Doch heute ist das ganz einfach geworden.“

Was läuft im Gehirn ab, wenn wir wütend werden?

Wenn wir etwas sehen, hören oder riechen sendet unser Gehirn einen Teil der Informationen direkt an den Mandelkern. Der Mandelkern ist der Bereich unserer emotionalen Erinnerungen. Er hat abgespeichert, ob wir uns zur Flucht oder zum Angriff rüsten müssen. Bevor sozusagen unser Verstand einsetzt, werden u.U. lebensrettende Maßnahmen sofort eingeleitet. Das ist ja auch notwendig, wenn wir einem gefährlichen Tier begegnen oder einer sonstigen gefährlichen Situation gegenüber stehen.

Erst danach wird die vollständige Information verarbeitet, unser „Verstand“ übernimmt die Kontrolle und korrigiert die vielleicht inadäquate Reaktion, in dem er sie neu beurteilt.

Überschäumende Emotionen des Mandelkerns werden im präfrontalen Kortex, also dem, was sich hinter unserer Stirn verbirgt, gezügelt. Dieser „Manager unserer Emotionen“ beauftragt  gleich eine „Kosten-Nutzen-Analyse“ aller erdenklichen Reaktionen und wählt den „Best-Case“ aus. Für den Best-Case haben wir Menschen ein großes Repertoire  zur Verfügung. Wir können beschwichtigen, überreden, um Sympathie werben, Schuldgefühle beim Gegenüber erzeugen, jammern, Verachtung zeigen, stören, behindern, verhindern, weglaufen oder angreifen.

Der Manager unserer Emotionen wird im Laufe eines Lebens geschult. Dabei hat unsere Kindheit einen wesentlichen Einfluss auf die Muster, die wir zur Reaktion auf Situationen zur Verfügung haben.

Die erste Lektion, die schon im Kleinkindalter gelernt wird, ist sich bei Aufregungen selbst beruhigen zu können. Säuglinge werden noch von den Eltern oder einer Betreuungsperson auf den Arm genommen und gewiegt, bis sie sich beruhigen. Dank dieser Erfahrung beginnt das Kind zu lernen, wie es dies auch allein erreichen kann.

Im Kindesalter können Eltern ihren Kindern weiter zeigen, wie man über seine Gefühle sprechen kann, dass emotionales „Fehlverhalten“ nicht gemaßregelt wird, sondern Problemlösungen angeboten werden.

Eltern oder Betreuer vermitteln also die wichtigsten Lektionen und bringen ihnen emotionale Gewohnheiten bei. So können sich die Verantwortlichen auf die emotionalen Bedürfnisse der Kinder einstimmen und diese befriedigen. Auch wenn eine Bestrafung notwendig wird, kann man dem Kind Empathie entgegenbringen und auf die Not des Kindes eingehen. Das ist auf jeden Fall wirkungsvoller, als die Not zu ignorieren und es durch Brüllen und Schlagen willkürlich zu bestrafen.

Im Kindesalter werden also schon die Schalter umgelegt, wie ein Mensch in seinem weiteren Leben reagieren wird. Glücklicherweise bleibt das menschliche Gehirn ein Leben lang lernfähig und kann alte Verhaltensweisen durch neue ersetzen. Das dauert dann aber ein bisschen länger und kann bis dahin viel Leid erzeugen.

Wenn ich kleine Geschichten aus meinem Umfeld höre, dann denke ich oft, was ist da bei der Erziehung schief gelaufen? Oder bin ich nur ein Traumtänzer, der nicht akzeptieren will, dass Wut und Hass zu unserem Leben dazu gehören?

Versucht einmal eure Gefühle zu erkennen und sie zu benennen. Wie drücken sich die Gefühle aus? Wie heftig sind sie? Wie könntet ihr anders damit umgehen? Versucht eure Impulse zu zügeln.

Was glaubt ihr, sind die nachfolgenden Reaktionen angemessen? Wer schädigt sich am meisten?

  • Ein älteres Ehepaar verkauft sein Haus,  das es schon seit über 40 Jahren bewohnt, weil im Nachbarhaus Asylbewerber eingezogen sind.
  • Mit Halbwissen werden Meinungen in sozialen Netzwerken verteilt, die bei genauerer Betrachtung nicht haltbar sind.
  • Verschwörungstheorien verbreiten Angst unter den Leichtgläubigen.
  • Vorm „Anderssein“, ob Glaube oder Äußeres, wird gewarnt und möglichst negativ ausgeschmückt, obwohl nicht eine einzige „Berührung“ zum Andersartigen stattgefunden hat.
  • Auf einem Klosterhof werden schwarze Kinder geschnitten. Man steht sogar auf, wenn diese sich auf eine Bank setzen.
  • Spielenden Kindern im Sandkasten wird von „weißen“ Müttern das Spielzeug aus der Hand gerissen und die eigenen Kinder weg gezogen.
  • Beim Erdkundeunterricht drehen sich alle zu dem einzigen farbigen Kind um, wenn über die Armut und das „primitive“ Leben gesprochen wird.
  • Bei der Wiedervereinigungsfeier halten junge Burschen Plakate hoch, auf denen steht „aus Ostpreußen vertrieben“. Nach Adam Riese ist das nicht möglich. Das können höchstens Eltern, eher Groß- oder Urgroßeltern sein.

Viel besser wären eine positive Einstellung zum Leben, Kommunikation, die Sichtweisen anderer verstehen und eine realistische Selbstwahrnehmung mit realistischen Erwartungen.

Lassen Sie uns in den nächsten Wochen damit arbeiten.